KI und Neurodiversität: So wurde ich auf der re:publica 2024 Fanboy von André Frank Zimpel

Wow: Ein selbst betroffener Psychologe und Pädagoge erklärt beeindruckend, wieso unsere Gesellschaft es sich nicht leisten kann, soll und darf, neurodiverse Kinder, etwa solche auf einem autistischen Spektrum, durchs Raster überholter Normen fallen zu lassen.

André Frank Zimpel auf der re:publica 2024. Bildungspolitiker*innen, Lehrer*innen, Ärzt*innen, Eltern: Hört bitte alle diesem Mann zu. (Foto: Stefanie Loos/re:publica)

Es grenzt an Reizüberflutung, aber auch dieses Jahr habe ich mir wieder drei Tage re:publica gegeben. Kann man als selbstständiger Journalist und Vater ohne allzu dringliche Auftragslagen und mit Kindern, die zumindest bis 16 Uhr nach der Schule im Hort betreut sind – das diesjährige Motto lautete schließlich „Who cares?“ – mal machen. Zumal die STATION am Gleisdreieck zu meinem erweiterten Kiez gehört. So kam es, dass ich zwischen Eröffnung und Abschied von Co-Gründer*innen Tanja und Johnny Häusler, Markus Beckedahl und Andreas Gebhard (inklusive traditionellem „Bohemian Rhapsody“-Abschlussgesang) zum Beispiel Teresa Bücker über Zeit und Utopien, die keine sein sollten, sprechen hörte. Patricia Cammarata, Dirk von Gehlen und Co. über unser aller Verlust von Twitter an Elon Musk und wo „wir“ uns jetzt bloß treffen sollen. Ferda Ataman über digitale Diskriminierung (und einen cringy Werbeclip). Arbeitsminister Hubertus Heil über digitale, ja, Arbeit. Marc Nellen und Bettina Kohlrausch über Care-Arbeit. Den von mir seit dem Podcast „Springerstiefel“ geschätzten Don Pablo Mulemba über Fußball und seinen FOMO-Podcast, Jan Schipmann, mit dem ich mal über Vasektomie sprach, und Nico Semsrott über das EU-Parlament. Karl Lauterbach über Pflege. Joe Chialo und Rooz über KI und Co., nachzulesen als kleiner Text von mir im „Tagesspiegel“. Dadfluencer Sebastian Tigges, Autorin Caroline Rosales, Shila Behjat, Maj-Britt Jungjohann und Nathalie Klüver über den „Vereinbarkeitsf*ck“, der, wie ich finde, weniger privilegierte Elternteile nochmal ganz anders trifft. Daniel Drepper und Lena Kampf über ihr so wichtiges wie kontroverses Buch „Row Zero“ (Affiliate Link), über das und die ihm zugrunde liegenden Rammstein-Recherchen ich auf diesem Blog eventuell noch mehr sagen werde. Meinen Sportsfreund Christian Kroll über seine grüne Suchmaschine „Ecosia“. Gerne hätte ich auch den „Discounter“-Machern Emil Belton und Max Mattis im Gespräch im Rahmen der TINCON zugehört – nach 20 Minuten langweiligen Quizfragen über Reality TV – deren neue, ganz lustige, in seinem feministischen Gaga-Anspruch aber völlig überzogene Mockumentary „Player of Ibiza“ spielt mit diesem Format – habe ich es aber nicht mehr ausgehalten. Und das waren jetzt nur ein paar der Termine aus meinem Kalender, zu denen ich es trotz Überschneidungen und eigener Care-Arbeit geschafft habe.

„Überall ist Intelligenz, und wir brauchen sie“

Am beeindruckendsten aber erlebte ich einen Vortrag, den ich eigentlich gar nicht auf dem Schirm hatte. Als ich zur Mittagszeit zwischen zwei Sessions an der Hauptbühne vorbeischlenderte, sprach da ein Mann sehr besonnen, empathisch, leidenschaftlich und begeistert über das Mit- und Gegeneinander von KI und Neurodiversität und damit hauptsächlich über die Funktionsweisen von Gehirnen von zum Beispiel Kindern mit ADHS-Diagnostik oder auf dem autistischen Spektrum. Es fielen derart viele Sätze und Erkenntnisse, die man eigentlich über jedes Curriculum unseres preussischen Schulsystems sprühen müsste, dass ich seitdem keine Gelegenheit auslasse, von Psychologe und Pädagoge André Frank Zimpel, so hieß und heißt er, und seinem grundinklusiven Ansatz zu schwärmen. Gleichzeitig frustriert es mich, wie leicht wie viele Kinder durch die sogenannte Norm fallen, die es ja eigentlich gar nicht gibt und die sie kleinhält. Lehrpläne beruhten laut ihm ursprünglich auf der Idee, dass bloß niemand kreativ und individuell werden soll. Bürger*innen sollten nur Warnschilder lesen und mit ihrem Monatssalär umgehen können.

Was das mit KI zu tun hat? Künstliche Intelligenz und unter Kindern angewendete Intelligenztests leiden, so Zimpel, oft unter dem gleichen Problem: Sie preisen das Mittelmaß. Die Norm. Die (soziale) Erwartbarkeit. KI etwa sei seit Jahren eigentlich dümmer geworden, weil sie den größer gewordenen Durchschnitt von Wissen und Anfragen repräsentiere. Und IQ-Tests etwa setzten ebenfalls voraus, dass die Antworten die richtigen sind, die die meisten Menschen geben. Beispiel: Wie geht die Zahlenfolge 2, 4, 6 weiter? Die meisten Menschen antworten mit 8. 10 ( 2 plus 4 gleich 6, 4 plus 6 gleich 10) wäre aber doch eigentlich genau so logisch. Oder, nach dem Lagrange-Verfahren 15 Komma irgendwas, an der Stelle konnte ich Zimpel kurz nicht mehr folgen.

KI kann Kindern auf dem autistischen Spektrum, also bei Neurodivergenz, aber auch helfen: Aus seiner Arbeit und Forschung wisse Zimpel, dass viele Betroffene nicht deshalb vergleichsweise spät sprechen lernten, weil sie weniger Wörter, Sprache und Sprachmuster als andere aufnehmen könnten, sondern MEHR. Weil kein Mensch ein Wort jemals exakt gleich aussprechen könnte (obwohl es sich für viele so anhört), erkennen manche neurodivergente Gehirne dahinter lange Zeit nicht dasselbe Wort, zum Beispiel Auto, sondern zig unterschiedliche Wörter. Betreiber*innen solcher Hirne lernen also erst spät sprechen lernen, weil die Verarbeitung der vergleichsweise immensen Vielzahl an erkannten Informationen länger dauert. KI könne ihnen helfen, zu erkennen, dass zum Beispiel bei bestimmten Lauten immer „Auto“ gemeint ist, auch wenn sie es anders wahrnehmen. Solche Kinder denken nicht langsamer. Sie sind nur schneller ko, weil sie in Wahrheit viel mehr leisten und leisten müssen. Für sie gibt es heutzutage in Schulen zwar einen Nachteilsausgleich. Kriegen sie ihre Aufgaben mit mehr Zeit dann aber hin, würde ihnen gegenwärtig dieser Ausgleich wieder genommen werden, „geht ja jetzt“. Das wäre laut Zimpel in etwa so, als ob man Gehörlosen die Gebärdensprache wegnehmen würde. Nein, es geht nicht ohne. Zumindest nicht, solange wir alle auf irgendeine vergleichbare Art funktionieren sollen, miteinander kommunizieren und jeden Menschen wertschätzen und bestmöglich fördern wollen.

Sorrynotsorry: Fanboy Fabian schweift ab. Wollte Euch doch eigentlich nur den folgenden Mitschnitt empfehlen, den ich mir selbst schon zweimal angeschaut habe. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge.

re:publica 2024: So begeisternd spricht André Frank Zimpel über KI und Neurodiversität

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