Warum ich trotz „Okja“ und Jonathan Safran Foer noch immer Fleisch esse

Spoiler: Es gibt keine guten, rationalen Gründe. Wie ich das mal meinen Kindern erkläre? Ein Armutszeugnis.

Ziemlich beste Freunde: Mija und ihr Schwein Okja (Foto: Netflix)
Ziemlich beste Freunde: Mija und ihr Schwein Okja (Foto: Netflix)

Ein Film schlug dieses Jahr besonders hohe Wellen in Cannes, und das nicht nur wegen seiner beeindruckenden Machart oder seines für Filmfestspiele unkonventionellen Vertriebs (Netflix statt Kino): In „Okja“ erzählt Bong Joon-ho die Geschichte des in den Bergen Südkoreas lebenden Mädchens Mija und ihrem Hausschwein Okja. Okja ist kein gewöhnliches Schwein, sondern das Produkt eines weltweit agierenden Unternehmens namens Mirando Corp.. Unter der Führung von Lucy Mirando (sensationell skurril: Tilda Swinton) setzt es 26 genmanipulierte Superschweine bei 26 Bauern auf allen Kontinenten aus. Wer zehn Jahre später das fetteste und größte Schwein von allen großgezogen hat, gewinnt den Preis für das „Best Super Pig“ – und die Mirando Corp. verschleiert so, dass ihre Massentierhaltung mit den mutierten, gewinnmaximierenden Riesenschweinen („alles an ihnen ist essbar!“) längst in vollem Gange ist.

Als Mijas Opa das Siegerschwein Okja über Seoul nach New York City – offiziell zur Siegerehrung, inoffiziell zum Schlachtfest – zurückverfrachten lassen will, geht das Mädchen auf die Barrikaden. Mithilfe einer radikalen Tierschutzorganisation unter Leitung von Jay (Paul Dano) will sie Okja befreien. Der Kampf David gegen Goliath und Gut gegen Böse beginnt. Keine Frage: Der Film, der „im letzten Drittel unnötig bedeutungsschwanger in Düsternis und Gewalt“ versinkt, ist ein Märchen über und gegen die Massentierhaltung. Wenn bei aller Plakativität ein Eindruck bleibt, dann die Notiz an sich selbst: Wir müssten wieder weniger oder gar kein Fleisch mehr essen. Eigentlich.

Es gab 2009 schon mal einen Aufhänger, der viele Menschen das Offensichtliche sehen und zu Vegetariern werden ließ: Jonathan Safran Foers „Tiere Essen“. Ein überfälliges Sachbuch, dessen Argumente meist Fakten sind, die, einmal verdaut, einnehmender kaum sein könnten. Foer („Alles ist erleuchtet“) wollte ursprünglich nur wissen, wie er seinen Sohn am gesündesten ernährt und begann, Fragen zu stellen. In seinem Buch ließ er Schlachthofarbeiter, sogenannte „Knocker“, Tierschutzaktivisten, „gute“ und „böse“ Farmer, deren Nachbarn und vor allem sich selbst zu Wort kommen. Im Grunde förderten seine dreijährigen Recherchen kaum Neuigkeiten zu Tage – nur ihr akribisches Ausmaß war neu und nachhaltig beeindruckend.

Foer konzentrierte sich auf die ethischen, ökologischen und gesundheitlichen Aspekte des Allesessens und belegte: Außer des Geschmacks, der kritiklosen Rücksicht auf Traditionen und Religionen sowie dem Hunger, unter dem wir Erstweltler schließlich nicht leiden müssen, gibt es keinen guten Grund, Fleisch (aus Massentierhaltung) zu essen, dafür viele Gründe dagegen. So war „Tiere Essen“ kein Manifest des Vegetarismus oder Veganismus, sondern Dokument einer persönlichen Übung in Verzicht, ein Plädoyer gegen Massentierhaltung und –fischerei und ein Denkanstoß zur bewussteren Ernährung.

Was soll ich sagen? Wie das so ist mit guten Vorsätzen: Ein paar Monate immerhin hatte auch mein Ernährungswechsel nach der Lektüre gehalten. Ich aß vielleicht noch ein- bis zweimal pro Woche Fleisch, und das war gar nicht so schwierig. Das Brötchen, ob beim Bäcker oder daheim, schmeckt auch mit Käse (auch ein tierisches Produkt, aber die Diskussion darüber lasse ich hier außen vor). Das Tagesgericht beim Vietnamesen war mit Tofu statt Rind genauso würzig. Die Nudelsoße braucht Gemüse statt Gehacktes. Kurzum: Wenn die Schwiegermutter kochte oder der Schwiegervater grillte, „gönnte“ ich mir weiterhin mal Tierisches. Eigentlich aber hatte ich nichts vermisst.

Es gibt keinen guten Grund für schlechtes Fleisch

Dann wurde unser erster Sohn geboren. Natürlich gebe ich ihm keinerlei Schuld für mein eigenes Verhalten. Aber der ohnehin schon anstrengende Alltag wurde plötzlich um ein Vielfaches anstrengender. Zum Warmessen blieb noch weniger Zeit als vorher, zum Kochen erst recht. Essen musste fortan, zumindest für uns Eltern, schnell und nebenbei funktionieren, und auf solche Zwänge und Gemütlichkeiten sind die Supermarktketten und Fast-Food-Imbisse natürlich vorbereitet: Der Döner in Neukölln kostet mit Fleisch genau so viel beziehungsweise wenig wie ohne. Konservendosen haben offenbar eine gesetzliche Fleischmitführpflicht. Und es gibt auch 2017 in Berlin noch immer viel zu viele Supermärkte, in denen es selbst Tiefkühlpizza und Ofenbaguettes nur mit Fleisch- oder Fischbelag gibt.

So wurde aus der Not und dem Zeitmangel wieder eine schleichende Routine, wie man sie aus seiner Kindheit kennt. Im Kühlschrank lagen wieder eingeschweißte Salami- und Schinkenscheiben, im Tiefkühlfach das Brathähnchen und Hühnerfrikassee. Das hat sich bis heute nicht geändert. Mehr noch: Unser größerer Sohn mag am liebsten Leberwurst auf seinem Brot, der kleinere isst zum Glück alles, gerne auch mal Obst.

Ich bin kein Ernährungswissenschaftler, möchte aber im allgemeinen Tenor behaupten: Es gibt kein rationales Argument, das unter Erwachsenen FÜR den Fleischkonsum spricht. „Es schmeckt mir aber“ ist, bei aller Stärke für einen selbst, keines, denn: Ich bringe auch keine anderen Menschen um, weil es mir Spaß macht. Weil ich damit anderen Menschen schade. Beim Konsum von Fleisch aus Massentierhaltung schade ich auch nicht nur mir selbst. Erstens bloß eben viel indirekter, ich blende das aus. Zweitens ist der Fleischkonsum nicht nur in zu großen Teilen der Gesellschaft noch immer nicht geächtet, sondern gern gesehen. Schlimm, welche Sprüche bis heute fallen, wenn wer beim Grillfest sein „Kaninchenfutter“ selber mitbringen muss, wenn er oder sie mehr als nur eine Scheibe Brot mit Kräuterbutter essen möchte.

Warum ich also trotz „Okja“, Jonathan Safran Foer und wider besseren Wissens und Gewissens Fleisch – ja, auch aus Massentierhaltung – esse? Ich weiß es nicht immer, um ganz ehrlich zu sein. Und stehe damit wohl stellvertretend für einen noch immer viel zu großen Teil unserer Gesellschaft, der sich denkt: Ach scheiße, es schmeckt mir aber, und nach mir die Sintflut, es gibt schließlich kein richtiges Leben im Falschen!!!1!!!11!!einself!!!!!

Stellt sich nur die Frage, wie ich das später meinen Kindern erkläre.

Dieser Text ist zuerst bei ME.URBAN erschienen.

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