„The Killing Of A Sacred Deer“ ist der Film, den Eltern eigentlich nicht sehen wollen

„Wie du mir, so ich dir“: Im kafkaesken Psychothriller „The Killing Of A Sacred Deer“ gewährt ein Chirurg einem scheinbar sehr höflichen Teenager Zugang zu seiner Familie. Mit tragischen Folgen.

Schlüsselszene in „The Killing Of A Sacred Deer“: Martin klärt Steven auf, warum sie sich wirklich treffen. (Foto: Alamode Film)
Schlüsselszene in „The Killing Of A Sacred Deer“: Martin klärt Steven auf, warum sie sich wirklich treffen. (Foto: Alamode Film)

Dieser Blogpost ist meinem Kollegen Daniel gewidmet. Daniel ist Filmredakteur und hat noch keine Kinder. Ich mache ihm beides nicht zum Vorwurf, nenne es aber als Erklärung dafür, dass er mich in „The Killing Of A Sacred Deer“ geschickt hat. Immer wieder hat er von diesem Kinofilm geschwärmt, gerade ich als Vater müsse ihn unbedingt sehen, er sei zudem sehr gespannt auf meinen Blogpost. Daniel liest hier nämlich manchmal mit:

Was also machen meine Frau und ich an einem Sonntagnachmittag, an dem wir zum ersten Mal Kid A UND Kid B alleine ihren Großeltern überlassen? Wir gehen ins Kino. 45 Minuten nach Filmbeginn wollte meine Frau schon wieder gehen. „The Killing Of A Sacred Deer“ ist nämlich ein sehr grausamer Film.

Steven Murphy ist ein offenbar erfolgreicher Chirurg. Seine Reputation ist gut, seine Villa groß, seine Frau und Kinder mindestens so vorzeigbar wie die neue Armbanduhr des Anästhesisten, über die sich die Kollegen genau so emotionslos, mechanisch und kühl unterhalten, wie ihre Operationen und ihre Leben ablaufen. Klar wird auf der Stelle: Irgendwas stimmt trotzdem nicht. Keiner lacht, in keiner Situation. Zum abendlichen Sex legt seine Frau sich nackt und regungslos vor ihn, wie unter Vollnarkose. Nicole Kidman spielt diese Frau nicht ganz so nervig wie ihre andere Mutterrolle in der zweiten Staffel „Top Of The Lake“, aber noch immer nah am Unerträglichen. Und dann ist da noch dieser Junge, Martin, mit dem sich Steven trifft. Anfangs versteht man ihre Beziehung nicht, später erfährt man, dass Martins Vater während einer von Murphy durchgeführten OP starb – und dass Martin womöglich nach Rache anstatt nach Freundschaft sinnt.

Die Streicher werden jetzt immer gellender, die Bilder immer bedrohlicher, die Stimmung im Film und unter uns Zuschauern immer beklemmender, das Schicksal der Familie Murphy nimmt seinen Lauf. In den physisch besonders blutigen und psychisch besonders krankhaften Szenen dieses Psychothrillers hält meine Frau sich den Schal vors Gesicht, auch ich schaue angewidert weg – sie verlässt garantiert jede Minute den Saal, ich würde sie nicht davon abhalten. Ihr und mein „Glück“ bleibt allein: Von dort an verlässt „The Killing Of A Sacred Deer“ jeglichen Anspruch auf Rationalität, Logik und Nachvollziehbarkeit, nur so kann man diese zweistündige Bedrückung aushalten. „Es ist alles eine Metapher!“, ruft Martin in dem Moment, als Steven ihm in all seiner Verzweiflung körperliche Schmerzen zufügt. Und man denkt sich: „Ja, bestimmt, anders ist das hier ja nicht nachzuvollziehen. Aber wofür bloß?“

Eine mögliche Antwort liefert, wie immer, wenn das wahre Leben nicht mehr weiter weiß, das Feuilleton. „The Killing Of A Sacred Deer“ inszeniere „die Wiederkehr der Tragik im Herzen des rückstandsfrei aufgeklärten Amerika“, heißt es etwa in der „Zeit“, es ginge um Mythologie, um Agamemnon, „schon der Titel wuchtet schweren antiken Stoff “, und so weiter. So kann man den Film natürlich sehen, zumal als jüngsten in der Reihe von Regisseur Yorgos Lanthimos, der vorher mit „Doghtooth“ und „The Lobster“ ähnlich Schwergewichtiges und Irres drehte. Als Elternteil, der seit Jahren kaum was anders liest als Kinderbücher, stellt man sich jedoch eine viel näher liegende Frage, die man sich im eigenen Leben hoffentlich niemals stellen muss: Wie weit würde ich für meine Familie gehen? Würde ich, Mythos hin oder her, das eine Kind töten, um das andere zu retten?

In „The Killing Of A Sacred Deer“ scheinen die Protagonisten ihr Schicksal hinzunehmen. Im Fernseher läuft „Und täglich grüßt das Murmeltier“, das ist eine Grundaussage: Ob arm, ob reich, ob hübsch, ob hässlich – das Leben ist ein Hamsterrad, am Ende sind wir alle tot. Danke für diese Erkenntnis, für die ich „The Killing Of A Sacred Deer“ nicht gebraucht hätte.

Die überraschende Wendung ist höchstens die, dass es keine gibt: In diesem zweistündigen Kammerspiel kommt alles so, wie Martin es sich wünscht. Das ist dann natürlich kein Happy End, nicht mal ein irgendwie nachvollziehbares Ende, auch ein hochgradig unbefriedigendes – aber eines, das von Minute 1 an näher schlich. Ich schreibe meinem Kollegen Daniel am Abend, dass ich bis zum Schluss vergeblich auf den von ihm angekündigten Twist gewartet hätte. Aber da hatte ich wohl nicht richtig zugehört. Seine Antwort: „Es gibt keinen Twist, das ist ja das Geile!“ Naja. Immerhin ist der 25-jährige Ire Barry Keoghan eine Entdeckung.

„The Killing Of A Sacred Deer“, mit Colin Farrell, Nicole Kidman, Barry Keoghan, Sunny Suljic, Raffey Cassidy, Alicia Silverstone. Regie: Yorgos Lanthimos. Seit 28. Dezember 2017 im Kino.

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