Über (elterliche) Angst

Fahndungsplakat-Mohamed-Januzi-516x340Mohamed ist tot. Die Leiche des vierjährigen Jungen, der am 1. Oktober 2015 am Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin-Moabit entführt wurde, wurde am Donnerstag in einem Kofferraum gefunden. Das Auto gehörte offenbar dem mutmaßlichen Täter, den die Polizei auch auf Fahndungsfotos und -videos zeigte. Eine Überwachungskamera filmte mit, wie ein Mann mit Mohamed an der Hand das LaGeSo-Gelände verlässt. Es sollten die letzten Bilder werden, die Mohameds Eltern von ihrem Sohn gesehen haben werden. Menschen, die mit nichts nach Deutschland kamen und nun mit noch weniger dastehen. Angst und Hoffnung auf ein besseres Leben, so ist anzunehmen, brachten sie hierher. Angst und Hoffnungslosigkeit werden sie vermutlich nie wieder los.

Die schreckliche Geschichte des kleinen Mohameds ist ein Einzelfall, aber einer, der auf grausamste Art und Weise Hilf- und Ausweglosigkeit illustriert. So wie Aylan Kurdi, der fast gleichaltrige tote Junge, der an der türkischen Küste angespült wurde und dessen Foto um die Welt ging, zum Symbol für die Sinnlosigkeit und Beschissenheit vom Krieg (in Syrien) wurde, so wird Mohamed aus Moabit zum Symbol für die Beschissenheit und Kaputtheit von Menschen. Und umgekehrt.

Was macht sowas mit einem? Es gibt besonders für Eltern wohl nichts Schlimmeres als (den Gedanken an) den Tod des eigenes Kindes – außer den Tod des eigenes Kindes nach vorheriger Entführung. Was für eine unsagbar lähmende Vorstellung. Einerseits haben Mohameds Eltern nun schreckliche Gewissheit. Andererseits bleibt, solange der bereits geständige Tatverdächtige nicht aussagt, schreckliche Ungewissheit darüber, wie ihr Sohn sterben musste. Litt er? Wurde er gar mißhandelt, gefoltert, gequält? Oder ging es ihm gut? Bis zuletzt wollte man sich als Außenstehender schönreden, dass Mohamed vielleicht bloß jemandem Gesellschaft leisten muss, der einsam und verwirrt ist, dem Kind aber nichts antut. Man kennt sowas aus dem „Tatort“ und anderen Fernseh- und Kinofilmen. Die Realität sieht manchmal leider schlimmer aus.

UPDATE: Die Realität sieht noch viel schlimmer aus

Nachdem die Meldung von Mohameds Fund durch die Newsticker geht, schreibe ich meiner Frau via What’s App, dass ich kaum konzentriert arbeiten könne, so sehr beschäftige mich Mohameds Tod. Wie sehr wir auf Kid A aufpassen müssen, antwortet sie. Sekunden der Unachtsamkeit könnten reichen, in denen er vom Spielplatz verschwindet oder auf die Straße rennt. Schlagartig wird einem wieder bewusst, dass man verdammt nochmal in einer Großstadt lebt, dass Psychopathen und Pädophile in der Nachbarschaft leben könnten und dass Unfälle passieren. Die Antwort auf die immer wiederkehrenden Fragen, ob die Menschheit nun gut oder schlecht sei und ob man Kindern einen Gefallen damit tut, sie auf diese Welt zu bringen, scheint in solch schwachen Momenten eindeutig beantwortet zu sein. Aber verdammt, denke ich immer und immer wieder, will und darf man sich von soviel Misanthropie und Angst steuern lassen?

Es ist wie in der Flüchtlingsdebatte und allen anderen großen Ungerechtigkeiten und Unmenschlichkeiten unserer Gegenwart: Man darf die Arschlöcher nicht (über das eigene Denken und Fühlen) gewinnen lassen, sonst hat man selbst bereits verloren.

Mohameds Eltern bloß wird soviel Zweckoptimismus in diesen Stunden nicht helfen. Sie sind hilflos unter Helfenden.

4 Gedanken zu „Über (elterliche) Angst

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Zurück nach oben